Biodiversität und Klangformung: Interview mit Dominik Eulberg

Von Markus Thiel - 29. November 2019

Nach acht Jahren hat Producer und DJ Dominik Eulberg uns ein neues Album beschert. Mannigfaltig wartet mit ganzen 12 Tracks auf, die – typisch Eulberg – sich an die Natur anlehnen. Produziert wurde das Album in Cubase und Eulberg erzählt über die Konzeptualisierung und Herangehensweisen der Tracks, über das Sound-Design und welche Tools er sonst für seine Produktionen braucht.

Mit elektronischen Klangwelten zurück zur Natur? Was im ersten Moment widersinnig erscheint, ist für den aus dem Westerwald stammenden Musiker und Produzenten Dominik Eulberg schlüssiges Konzept und Berufung in einem. Der studierte Biologe hat es sich zur Aufgabe gemacht sein Engagement für den Schutz der Natur nicht nur klangkünstlerisch in die Sprache der Musik zu übertragen, sondern darüber hinaus mit dem atmosphärischen Raum seiner Alben und Tracks eine neue Sensibilisierung für die Relevanz der uns umgebenden Natur als unseren gemeinsamen Ursprung über die Energie der Tonsprache zu erreichen.

Mit seinem neusten beim Label !K7 erschienenen Album Mannigfaltig bedient sich der Künstler einmal mehr der unerschöpflichen Fülle der Fauna, indem er die in den Namen der insgesamt zwölf Protagonisten innewohnende Zahlensymbolik, beginnend mit der Eintagsfliege bis hin zum Zwölfpunkt-Spargelkäfer, in eine numerische Track-Abfolge überführt. Der Umstand, dass nicht wenige der aufgeführten heimischen Insekten, Vögel und Nager dem ein oder anderen geneigten Hörer nicht geläufig sein werden, konvergiert auf exzellente Weise mit den Sphären eines sehr persönlichen und unverkennbaren Stils, welcher sich mit dem schon zu häufig bemühten Wort „Minimal“ nur noch sehr unzulänglich beschreiben lässt.

Wir sprachen mit Dominik über sein künstlerisches Schaffen, seine Liebe zur Natur und die Möglichkeit mit Synthesizern die Welt zu verändern.

Was kam zuerst in deinem Leben, die Liebe zur Natur oder die Begeisterung für die Musik?

Die Liebe zur Natur wohnt mir seit Kindheitstagen inne. Ich wuchs ohne Fernseher und weitere mediale Verseuchung im Einklang mit ihr auf, die Natur war mein Entertainment-Programm. Schon als kleines Kind kannte ich die meisten Spezies der heimischen Flora und Fauna und lies mich von dem faszinierenden Changieren des Schillerfalters, dem Glitzern des Eisvogels und dem Aeronautendasein des Mauerseglers verzaubern. Musik interessierte mich in meiner Kindheit gar nicht, ich fand das immer etwas seltsam und künstlich, die Natur war meine Musik: die Heuschreckenkonzerte, das morgendliche Vogelorchester, das Rauschen der Bäche. Erst die so mystisch wirkende elektronische Musik weckte in mir eine tiefe Neugier. Ich konnte mir die Genese dieser sonderbaren Klänge nicht erklären und musste dem Geheimnis auf die Schliche kommen.

Von Diorama bis Mannigfaltig sind ganze acht Jahre vergangen – wie würdest du deine persönliche Entwicklung während der letzten Jahre beschreiben?

Ich bin sehr froh und dankbar mit meiner Musik eine Bühne zu haben, weil ich mit ihr viele Menschen für meine Lebensmission, die Sensibilisierung für die heimische Natur, erreichen kann. Wäre all dies nicht passiert, so würde ich sicherlich jetzt weiterhin in der Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Naturschutz arbeiten und tägliche Führungen in der Natur machen, damit aber viel weniger Menschen erreichen wie etwa mit so einem Album. Ich komme immer mehr an den Punkt meiner Karriere, wo ich es mir erlauben und auch zutrauen kann, meine beiden Leidenschaften gesünder, nachhaltiger und holistischer miteinander zu vereinen. Wichtig ist zu erkennen wer man wirklich ist, was man braucht, um glücklich zu sein, wo die Grenzen sind. Erkennen wir dies, ist man zufrieden und kann den ‚Marathon‘ laufen. Lässt man sich aber von der Gier nach Ruhm und Geld geißeln, kann man sich schnell verlieren und nur noch der allegorische Esel, der der Karotte an der Angel hinterher rennt sein und rasch zusammenbrechen.

Auch musikalisch erlaube ich mir mehr denn je ich selber zu sein. Ich folge dabei keinerlei Trends, suche stets das innovative Momentum und versuche nichts, oder gar mich selber zu kopieren. Ich mache nur noch dann Musik wenn ich das Gefühl habe etwas musikalisch zum Ausdruck bringen zu wollen. Meine Motivation wird also auch dort immer intrinsischer, der Weg ist das Ziel, wir leben, um unser Leben zu leben, alles andere ist in meinen Augen Zeitverschwendung.

Woraus beziehst du deine Inspiration bzw. was beflügelt dich bei der Ideenfindung?

Für mich ist Natur der größte Künstler von allen. Ihr Farben- und Formenreichtum, ihre Raffinesse, regen mich immer wieder von neuem zu kindlichem Staunen an. Ich bin jeden Tag draußen in der Natur, auch auf Grund meiner Tätigkeiten als Biologe. Ich versuche dabei stets mit offenen Sinnen in ihr zu sein, ihr demütig zu lauschen, kontemplative Naturbeobachtung zu betreiben, ohne das Bestreben etwas ändern zu wollen. Nach einer gewissen Zeit der Achtsamkeit komme ich immer wieder in einen Zustand, wo meine Gedanken ruhiger und meine Alltagsprobleme kleiner und nichtiger erscheinen. Dann fühle ich mich wieder in vollem Einklang mit Mutter Natur, bin wieder leibhaftiger Teil von ihr und fühle mich mit allem Verbunden. Dieses tiefe Gefühl des Glückes und der Verbundenheit, diese archaischen Emotionen, versuche ich dann, ähnlich wie ein Maler ein Bild malt, mit Klanglandschaften zu skizzieren. Am Anfang habe ich versucht meine beiden großen Leidenschaften, Natur und Musik auf naive Art und Weise profaner miteinander zu verstricken. Ich nahm Geräusche und Tierstimmen in der Natur auf, und wob sie in meine Musik ein. Heute mache ich das nur noch aus rein produktionstechnischen Gründen. Mein Weg die beiden Leidenschaft miteinander zu kombinieren ist heute, wie oben beschrieben, eher ein indirekter.

Pflegst du bestimmte Herangehensweisen an einen Track? Gibt es so etwas wie Studio-Rituale?

Ich fange immer mental mit einem Konzept aus der Natur an, welches ich vertonen möchte. So weiß ich was ich für ein Bild malen möchte. Das Cover von Mannigfaltig etwa war lange fertig bevor ich überhaupt anfing Musik zu machen; das nächste Albumcover steht auch schon als Skizze. Musik machen ist ja nichts anderes wie das Selektieren aus unendlich vielen Optionen. Mit einem fertigen Konzept habe ich aber schon mal eine rote Linie in welche Richtung ich gehen möchte, etwa dass es hier genau zwölf Tracks sein mussten. Dann fange ich meist damit an die Hauptmelodien einzuspielen oder auch im Noteneditor von Cubase zu zeichnen. Harmonikal dazu passend spiele ich dann Pads und Basslines. Zum Schluss programmiere ich die Drums die dazu passen. Habe ich genug Content fange ich an das Stück zu arrangieren. Dabei fallen gewisse Parts auch wieder raus, weil sie nicht von Nöten sind und für mich notwenig erscheinende werden dann erst kreiert.

Die grobe Abmischung mache ich schon direkt im Entstehungsprozess, das Finetuning kommt ganz zum Schluss. Ich mixe ‚in the box‘. Diese Methode ist für meine Arbeitsweise die geeignetere Form. Wenn man keine digitalen Clippings erzeugt sehe ich darin vom Sound her auch mehr Vorteile als Nachteile. Bei der Wandlung geht ansonsten immer etwas verloren. Ich ziehe vor dem Mix-Down immer alle Fader per VCA-Fader in gleichem Maße soweit runter, das genügend Headroom fürs Mastering entsteht. Zudem besteht bei dieser Arbeitsweise der große Vorteil, dass man immer wieder Feinheiten verbessern kann, worin ich ein Meister meines Faches bin.

Es klingt so, als würdest du bei der Produktion viel Zeit auf die Entwicklung einzelner Sounds verwenden. Wie bedingen sich Makro- und Mikrokosmos in deiner Musik?

Oh ja, da sagst Du was. Ich bin schon ein kleiner Perfektionist und kann mich stundenlang an einem Sound oder einer Melodie aufhalten. Zum Glück mache ich meine Musik alleine, ein Studiopartner bekäme einen Nervenzusammenbruch. Ich versuche jede Spur klanglich so sauber wie möglich zu gestalten. Filtere immer unnötige Frequenzen heraus, etwa durch Low-Cuts. Gerade Effekte machen da unten rum manchmal viel Müll, was den Mix vollmatscht. Ich versuche jede Spur frequenziell so einzusetzen, dass sie im Mix genug Platz hat. Bei Melodien ist es genauso. Melodien sind ein ganz archaisches Kommunikationsmittel. Wir wissen heute, dass sie sogar älter als Sprache sind. Beim Musizieren ist der älteste Teil unseres Hirns, das Großhirn aktiv. Beim Sprechen hingegen nur ein jüngerer Seitenlappen. Schlaganfall-Patienten können häufig nicht mehr sprechen, aber noch musizieren. Dies alles sind Indizien dafür, dass der Mensch schon musizierte bevor er die Sprache entwickelte. Melodien sind also nichts anderes als eine Form der Sprache und ich finde man sollte nur so viele Wörter wie nötig verwenden, um etwas resonanzfähiges zum Ausdruck zu bringen.

Welche zentralen Tools setzt du bei deinen Produktionen ein?

Ich benutze sehr viele Analogsynthesizer. Alle meine Synthesizer liegen an einem großen Analog-Mischpult auf verschiedenen Kanälen. Hier kann ich sie noch mit externen Effekten über die Aux-Sends veredeln, etwa mit einem Bricasti-Hall oder dem Eventide H8000. Ich nehme sie dann über den Crane Song Held Quantum Wandler in Cubase auf, meist Dry und Wet. Hier bearbeite ich sie dann weiter. Auf der Softwarebasis arbeite ich etwa viel mit Omnisphere oder den u-he VST-Synths. Alle Synths route ich meist in eine Gruppe und lasse die Bässe davon mit einem Multiband-Kompressor von der Kick sidechainen. Sie ist das Herzstück des Tracks, der Taktgeber, der stets genug Platz braucht. Ich arbeite seit 1993 mit Cubase. Ich habe es damals gegen ein Paar Turnschuhe eingetauscht und auf einem Atari 1040ST betrieben. Da ich nun schon 26 Jahre mit Cubase arbeite, bin ich dort wirklich sehr zu Hause, kenne viele Kniffe und weiß wie ich zu meinem gewünschten Ergebnis komme. Außerdem habe ich durch all die Updates immer wieder die neuen Innovationen sukzessive mitbekommen und musste nicht alles auf einmal erlernen.

Welchen Stellenwert nimmt die Anfertigung und Bearbeitung eigener Samples in deiner Musik ein?

Neben analogen und digitalen Klangerzeugern verwende ich immer auch akustische Signale als dritte Klangquelle. Diese verleihen dem Stück nochmal eine Extradimension. So nehme ich immer wieder Geräusche in der Natur oder bei mir im Studio auf, aus denen ich entweder Soundscapes baue oder sie als Drums verwende. Auf dem Album kann man zum Beispiel Ausatmen unter Wasser hören, Schüsse auf einem Truppenübungsplatz, Regen auf einem Metalldach, zusammengeschlagene Bücher oder etwa betätigte Tastschalter. Das Aufnehmen dieser Sounds macht zudem immer großen Spaß und ist somit auch ein hervorragendes Motivations-Tool.

Kannst du für uns den Entstehungsprozess von Mannigfaltig etwas näher beleuchten?

Ich habe mich phänotypisch und von der Lebensweise der zwölf tierischen Protagonisten inspirieren lassen und versucht diese Gefühle narrativ abzubilden. Bei dem Stück Eintagsfliege habe ich etwa die Metamorphose von der im Wasser lebenden Larve hin zum adulten Fluginsekt skizziert. In dem mittleren Break kann man ein aquatisches Geräusch hören: Die Transformation ist nun abgeschlossen, das fertige Insekt schlüpft und entsteigt dem Wasser. Um diese Verwandlung zu veranschaulichen, wird der Klang plötzlich staubtrocken und ein kosmischer Tanz beginnt, um die kurze, aber intensive Zeremonie der Reproduktion zu zelebrieren.

Bei Sechslinien-Bodeneule war es meine Intention die wundersame Metamorphose von Ei, Raupe, Puppe bis hin zum fertigen Schmetterling narrativ mit meiner Musik dazustellen. Wie man vielleicht bemerkt, fragmentieren die einzelnen Entwicklungsstufen dieses Stück stark. Am Anfang wird das tonnenförmige Ei abgelegt, welches mich mit seinen kräftigen Rippenstrukturen zu besonderen Sequenzen inspirierte. Im ersten Break schlüpft die grünlich-graue Raupe und frisst sich dann unbeirrbar durch das Rhythmusgeflecht. Schließlich die Verpuppung, die unbegreifliche Metamorphose. In diesem zweiten langen Break wird, wie bei der Schmetterlingsmetamorphose, die ursprüngliche Larve durch ihre Verdauungssäfte nahezu vollständig aufgelöst und stirbt ab. Nur wenige Prozent des ursprünglichen Gewebes überleben. Aus diesen wenigen Zellen entsteht ein völlig neues Wesen, das schließlich als Schmetterling aus der Puppe entsteigt. Ich habe diesen Vorgang mit bisher ungehörten, luftigen Rhythmusstrukturen und Melodien dargestellt, die immer mehr und mehr davon flattern…

Das Albumkonzept offenbart sich ja bereits in der thematisch gelungenen Kombination aus Titel, Tracknamen sowie einem wie ich finde außergewöhnlich schönen Artwork. Wenn du dir der Rezeption deiner Musik und ihrer Wirkung betreffend etwas wünschen könntest, was wäre das?

Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen versuchen werden die Metaebene des Albums zu verstehen, es nicht stumpf zu konsumieren ohne sich mal zu fragen, warum die Tracktitel so ‚merkwürdig‘ sind und warum so ein ‚komisches‘ Dreieck aus irgendwelchen Tieren auf dem Cover ist. Ich wünsche mir, dass vielleicht der eine oder andere wieder anfängt Dinge zu hinterfragen, wieso sie in unserem System so sind und ob sie sinnig und logisch sind. Ich wünsche mir, dass wir die Natur wieder mehr schätzen und lieben lernen, dass ein Stück mehr kindliches Erstaunen über ihre Raffinessen zurück kommt. Ich wünsche mir, dass wir begreifen, dass alles was gegen die Natur geht, im Endeffekt auch gegen uns Menschen und unsere Nachkommen geht. Ich kenne nun mal nur diese eine Erde auf der wir existieren können und eine intakte Natur ist unsere Lebensversicherung. Ich wünsche mir das wir unseren Freunden in der Natur schlussendlich wieder den Raum und den Respekt geben den sie verdienen und unsere anthropozentrische Hybris ablegen, sonst werden wir früher oder später als Homo Suicidalis enden.

Kann Musik die Welt retten? – Oder anders gefragt: Welche Rolle kann die Kunst heutzutage angesichts von Klimanotstand und weltweitem Artenschwund noch ausfüllen?

Ich finde es ist die Pflicht eines jeden arrivierten Künstlers, seine Reichweite und seine Macht für sinnige Missionen zu nutzen. Meine Auftritte versuche ich oft mit Natursensibilisierungsaktivitäten zu kombinieren. Ich bin zum Beispiel auch Fledermausbotschafter vom NABU und biete gerne vor oder nach meinen Auftritten Exkursionen an. Diese können die Besucher meines Auftritts dann über eine Verlosung gewinnen. Ich benutze die Fledermäuse meist aber nur als sympathischen Türöffner, um die Teilnehmer mehr und mehr auf das große Ganze aufmerksam zu machen. Elektronische Musik ist ein wunderbares Instrument viele junge Menschen, die Zukunft von morgen, zu erreichen, ihre Herzen zu öffnen, ihnen den Schleicher der Entfremdung von den Sinnen zu nehmen. Natur hat nun mal keine Lobby, aber sie braucht Helden, siehe Greta.

www.dominik-eulberg.de