Interview mit Eduardo García

Interview: Markus Thiel, Juni 2020

Dass Hörbuchproduktionen weitaus mehr sein können, als die gut gelesene Aufnahme eines gedruckten Bestsellers, beweisen die Produzenten von "German Wahnsinn" vorbildlich. Ihre auditiven Umsetzungen geschriebener Worte erscheinen im gemeinsam mit Bestsellerautorin Cornelia Funke gegründeten Verlag. Der Titel des aktuell immer erfolgreicher werdenden Labels "Atmende Bücher" verspricht nicht zu viel. Vor dem Hintergrund der in Kooperation mit und nach einer Vorlage von Guillermo del Toro entstandenen Produktion "Das Labyrinth des Fauns" sprachen wir mit "German Wahnsinn"-Gründer Eduardo García über Wandlung und Weiterentwicklung des klassischen Hörbuchs, sowie über Aufnahmephilosophien im Angesicht moderner immersiver Audiokonzepte.

Ihr seid, soweit ich gehört habe, nicht nur sehr aktiv im Hörbuchbereich tätig, ihr habt mittlerweile sogar einen eigenen Verlag gegründet. Erzählst du uns etwas darüber?

Tatsächlich gehörte ich in Deutschland sogar zu den allerersten, die Anfang der 1990er im Zuge der ersten Welle Hörbücher produziert haben. Ich lernte damals einen Produzenten kennen, der das ganze Konzept aus England importiert hatte – das Format hieß, wenn ich mich richtig erinnere, sogar "talking books" – und mich daraufhin fragte, ob wir so etwas in meinem Studio produzieren könnten. So entstanden dann die ersten Reihen, unter anderem mit Sprechern wie Uli Wickert, der damals noch Tagesthemen-Sprecher war oder illustren Gästen wie Joachim Witt (Der goldene Reiter, Anm.). Das haben wir zu der Zeit natürlich noch alles auf "Senkel" aufgenommen. Als dann der richtige Hörbuchboom begann, war ich auch schon wieder raus – im Nachhinein betrachtet: leider! Aber die Leidenschaft dafür ist eigentlich nie wirklich abgeebbt. Ich habe dann später lange Zeit als Dienstleister für größere Verlage gearbeitet, als diese so allmählich ihr Portfolio um eine Audio-Sparte erweiterten. Irgendwann kam dann mal eine Anfrage, ob wir nicht die Musik für ein Hörbuch von Cornelia Funke komponieren und produzieren könnten. Dabei ging es um die "Reckless" Reihe, von der im November bereits der vierte Band erscheint. Am Ende kam dabei unter anderem viel düstere Cellomusik herum und nach der Hörbuchveröffentlichung sogar eine anschließende Lesetour, bei der wir die Musik live performen konnten. In diesem Rahmen haben wir dann auch Cornelia näher kennen gelernt. In dem Zusammenhang bekamen wir zudem das schönste Kompliment aller Zeiten, als sie im Anschluss an einen Auftritt zu uns kam und erzählte, dass sie beim ersten Hören unserer Musik beim Betreten der Bühne bereits das Gefühl gehabt hätte, dass wir ihr Buch besser verstanden hätten als sie selbst. Daraus ist mittlerweile eine echte Freundschaft entstanden sowie der Wunsch, in Zukunft noch mehr Hörbücher gemeinsam zu produzieren. Was wir mittlerweile ziemlich aufwändig und seit kurzem auch auf Basis unseres eigenen Verlags namens Atmende Bücher machen.

Wie seid ihr ihr an die erste gemeinsame Produktion herangegangen?

Die erste Hörbuchproduktion war bereits sehr aufwändig, vergleichbar mit einem Filmscore – das Ganze allerdings dann über knapp 9 Stunden! Die letzte Produktion, die wir gemeinsam gemacht haben, war die Hörbuchversion des Films "Pans Labyrinth" in Kooperation mit Guillermo del Toro. Für "Das Labyrinth des Fauns", so der Buchtitel, haben wir uns schließlich gemeinsam mit Cornelia, die die Hörbuchversion geschrieben und in Abstimmung mit Guillermo erweitert hat, für eine konsequente 3D-Audio-Umsetzung entschieden. Da wir aktuell ohnehin viel mit VR und AR zu tun haben, lag es für uns auf der Hand, es auch mal mit einem Hörbuch zu probieren. Letztendlich mussten wir für die richtige Dramaturgie vier bis fünf Mal komplett zum Anfang zurückkehren. Das war für das binaural gemischte Endergebnis ein wirklich wichtiger Prozess.

Habt ihr während der Produktion schon direkt binaural aufgenommen?

Ja, wir haben dafür auch spezielle Mikrofone. Cornelia spricht auch ein paar Parts, die sie dann direkt um das 3Dio-Mikrofonset herumgesprochen hat. Damit bekommt man letztlich schon ein bisschen Bewegung hin. Selbst Foley-Sounds haben wir damit weitestgehend bereits im Vorfeld in 3D aufgenommen und natürlich einiges später auch noch mit Nuendo moduliert. Die eigentliche Herausforderung dabei basiert auf dem Umstand, dass man Sprache in 3D nicht wirklich so nach vorne bekommt wie in Stereo. Unser Ziel ist es, das Ganze letztlich exakt so hinzubekommen, dass der Hörer Spaß an der Sache hat. Aus dem Grund haben wir unsere Zwischenergebnisse auch immer wieder von Dritten abhören lassen und mussten auf diesem Weg vor allem von den Puristen sehr viel Kritik einstecken. Im Vergleich zu einer Stereomischung erreicht man eben bei Sprache in 3D immer nur maximal 90 Prozent des gewohnten Up-Front-Faktors, wer allerdings einmal richtig eingestiegen ist, ist plötzlich mitten drin im Hörfilm.

Das kann ich nach einem ersten Eindruck nur bestätigen. Es ist im ersten Moment zwar ungewohnt, aber letztlich durch die Art der Mischung auch viel intimer.

Genau, dadurch, dass wir den Sprecher immer wieder in andere Räume setzten, vergisst du als Hörer irgendwann völlig, dass es ein Sprecher ist. Klar könnte man da jetzt kritisieren, dass man ja auf diesem Weg auch direkt ein Hörspiel daraus machen könnte, aber die Erzählform ist eben das Hörbuch! Genau das hat es für uns aber auch so interessant gemacht. Insgesamt hat der Produktionsprozess wirklich viel Zeit in Anspruch genommen, ich meine wir haben die erste halbe Stunde komplette fünf oder sechs Mal inklusive Musik immer wieder neu durchdesignt, bis wir endlich das Gefühl hatten, dass man tatsächlich so eintauchen kann wie wir uns das zu Anfang vorgestellt haben. Mittlerweile sind wir mit der deutschsprachigen Produktion bei über zehn Millionen Streams auf den digitalen Plattformen, was dafürspricht, dass wir das Ganze am Ende doch sehr gut hinbekommen haben. Natürlich ist so eine Herangehensweise auch mit einem enormen Risiko verbunden, denn schließlich entspricht der Aufwand unserer neunstündigen Hörbuchfassung in etwa dem, was produktionstechnisch bei drei kompletten Kinofilmen anfallen würde.

Das kann ich mir gut vorstellen. Wie viel Zeit nimmt so eine Produktion letztlich in Anspruch?

Ich habe das irgendwann mal zusammengerechnet und bin auf zweieinhalb bis drei Monate Produktionszeit gekommen – und das mit insgesamt sechs Kollegen. Das war für alle Beteiligten schon eine besondere Erfahrung. Das Interessante für mich bei der Sache war, dass wir uns mit "Das Labyrinth des Fauns" zum ersten Mal zusammen mit Cornelia einem für die Erwachsenenwelt konzipierten Hörbuch gewidmet haben, also ab 15 Jahren aufwärts. Die bisherigen Produktionen hatten ja primär eine deutlich jüngere Zielgruppe und so konnten wir diesmal hier und da auch mal etwas düsterere Sachen realisieren.

Beim Thema AR geht ihr aktuell aber auch noch einen Schritt weiter.

Wir beschäftigen uns schon lange damit, wie man noch mehr Immersion in das eigentliche Hörerlebnis hineinbekommt. Dafür haben wir jetzt sogar eine App entwickelt, die beispielsweise mit den neuen über Accelerometer und Gyroscope verfügenden Bose-Kopfhörern und Brillen zusammenarbeitet und durch Gesten wie Nicken oder Kopfschütteln ermöglicht den Verlauf des Hörspiels zu beeinflussen – sozusagen die Integration eines aktiven Entscheidungsprozesses. Das Ganze haben wir jetzt zusätzlich auch noch für die Gyro-Sensoren eines Smartphones angepasst, wodurch letztlich fünf bis sechs verschiedene Entscheidungsbäume innerhalb einer Geschichte verfügbar werden. Was für sich genommen auch eine ziemlich verrückte Sache ist, denn wenn man dieses Konzept weiterverfolgt wird ein nur 15 Minuten langes Hörspiel in der Produktion plötzlich unendlich lang! Das aktuelle Projekt basiert auf einem Spinoff, das Cornelia im letzten Jahr geschrieben hat und den wir für diese Zwecke ein wenig erweitert und umgebaut haben. Hiermit loten wir gerade in der Szene aus, in wie weit unsere App als flexibles Fundament interessant sein könnte, da Hersteller wie Apple aber auch Plattformen wie Audible oder Spotify den Audio-Boom mit Original-Podcasts, Hörspielen und ähnlichem immer erlebbarer produzieren. Aber auch für Werbekunden, die wir ja ebenfalls bedienen, ist diese Technologie ausgesprochen interessant. Durch schlaues Umschalten zwischen Stereo und 3D-Audio kann man sehr zielgerichtet Aufmerksamkeit erregen. Diese Dinge entwickeln wir zunächst ausschließlich in Nuendo bevor wir dann alles in die entsprechende Middleware-Option wie Wwise, FMOD oder Unity übertragen.

Legt ihr Richtung, Panning etc. auch direkt in Nuendo an?

Wir machen wirklich relativ viel direkt in Nuendo. Neben Pans besteht die Problematik allerdings auch darin, immer die richtigen Räume zu finden, eine Disziplin, in der viele Konkurrenzsysteme leider komplett abschmieren. Es ist und bleibt aber viel Frickelkram, wo man immer wieder an Ecken kommt, wo Bestehendes neu kombiniert und zusammenbaut werden muss. Zudem müssen wir auch Entwicklerwünschen gegenüber flexibel bleiben, – der eine arbeitet mit Wwise, der nächste kann damit gar nicht und schwört auf FMOD, wieder ein anderer macht alles in Unity. Im Prinzip sind wir dann die eigentliche Mittelware, die immer ein Auge auf den schnellsten und optimalsten Workflow und die professionellste Umsetzungsmöglichkeit, gemessen an den gewünschten Anforderungen, haben muss. Die 3D-Audio-Geschichten stecken genau genommen ja auch noch in den Kinderschuhen, aber glücklicherweise stellen wir auch fest, dass bei dem Thema so langsam auch Workflow-seitig alle etwas näher zusammenrücken. Stück für Stück sammelt man halt so seine Erfahrungen. Die Schwelle, an der wir gerade stehen, lässt sich im Prinzip mit dem Übergang von Mono zu Stereo vergleichen. Da wächst gerade eine komplett neue Generation heran und in immersive Audiowiedergabeverfahren hinein.

In gewisser Weise hat man somit also die experimentelle Kunstkopfgeneration hinter sich gelassen, die damals leider nicht richtig zum Zug kam, da viele weiterverarbeitende Prozesse und Umsetzungsmöglichkeiten noch gar nicht bestanden?

Ja, heute ist endlich alles mit allem mischbar. Darüber hinaus ist es auch nahezu für jeden verfügbar, was dazu führt, dass jeder alles so raushaut wie er sich das so denkt. Da sind dann halt wirklich tolle und revolutionäre Sachen dabei und natürlich auch weniger Schönes. (lacht.) Auf der anderen Seite lernt man so aber auch jeden Tag dazu – speziell in unserer Teamzusammensetzung aus Senior und Junior Engineers bei mittlerweile 12 Mitarbeitern. Die jüngeren Kollegen, die ganz selbstverständlich damit großgeworden sind auf dem Weg zum Ziel zig verschiedene Softwaretools zu nutzen, bringen bei uns viel wichtigen Input ein. Ich denke, es ist aber auch über die eigenen Firmengrenzen hinweg der generelle Austausch, der genau diese Sparte der Audiobranche so spannend macht. Die Leidenschaft für eine Sache ist für uns eigentlich das Wichtigste.

Welche Projekte stehen bei euch als Nächstes an?

Einige! Aktuell haben wir eine Runderneuerung des ersten Teils der "Drachenreiter" Reihe von Cornelia abgeschlossen. Dafür haben wir die Rechte an den sechzehn Jahre alten Aufnahmen vom ursprünglichen Verlag erworben, die wir jetzt im Stil des bereits von uns produzierten zweiten Teils aufbereiten. Im nächsten Jahr wird dann der dritte Teil erscheinen – dann ist die Trilogie komplett. Bis Oktober produzieren wir noch den vierten Teil von Cornelias "Reckless" Reihe, der im November parallel zum Buchrelease erscheinen wird. In diesem Jahr ist also noch eine Menge Alarm - und das sind ja nur die Spaßprojekte! Zeitgleich setzen wir gerade mehrere Hörbuchreihen um (zum Beispiel "Die Schule der magischen Tiere" und "Meine Freundin Conni") und parallel laufen im täglichen Studiobetrieb bei uns ja auch noch ganz viele andere Job wie "Nivis World" (eine AR-Storytelling-App) oder das Audio für eine VR-Simulator-Anwendung. Langweilig wird es hier also eigentlich nie, und wir schauen natürlich auch, dass alle den Spaß bei der Arbeit behalten – denn das ist für uns das Wichtigste.

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