Interview mit Seismal D

von Markus Thiel – 8. März 2019

Italiens aktuell wohl einflussreichster und außergewöhnlichster Produzent Elektronischer Musik, Seismal D aka Daniele Vantaggio, hat nicht nur zahlreiche erfolgreiche Kooperationen mit internationalen Künstlern wie Pig&Dan, Moonbeam, Frankyeffe und Sam Paganini vorzuweisen, sondern beliefert mit seinen Tracks auch regelmäßig die Plattenteller internationaler Top-DJs wie Richie Hawtin.

Der freigeistige und musikalisch breit gefächerte Komponist und Producer eröffnete sich durch das bewusste Verlassen ausgetretener Pfade eine vollkommen eigene und individuelle Vision eines im freien Feld zwischen Progressive Techno und Deep House angesiedelten Klangkosmos. Seit 2011 ist er zudem Host der italienischen Radio-Show WonderBeat des Senders m2o, in welcher er außergewöhnliche Künstler der Elektronischen Musikszene einer breiten Zuhörerschaft weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Rom hinaus näher bringt.

Angesichts dessen erscheint es nicht besonders verwunderlich, dass der kanadische Progressiv- und Deep-House-Starproduzent sowie Label-Betreiber Deadmau5 jüngst ebenfalls auf ihn aufmerksam wurde. Wir sprachen mit Daniele über seine Philosophie der Musikproduktion, die Wichtigkeit des gemeinsamen Arbeitens sowie seine Einflüsse und musikalischen Wurzeln.

Was war dein Initialimpuls für den Weg in die Musik?

Das ist eine verhältnismäßig komplizierte Frage. Da unser Vater Schlagzeuger ist, haben mein Bruder und ich prinzipiell bereits Musik geatmet seit wir nur denken können. Während ich relativ schnell ein Faible für elektronische Sounds entwickelte, entschied sich mein Bruder für das Drum-Kit, was ihn mittlerweile zu einem ziemlich berühmten Jazz-Drummer in Italien gemacht hat. Was mich betrifft, manifestierte sich dieses Verlangen danach, noch nie zuvor gehörte Sounds kreieren zu wollen, bereits mit ungefähr 11 Jahren und führte schließlich dazu, dass ich ein intensives Musik- und Produktions-Studium aufnahm, was mir letztlich diesen wundervollen Job einbrachte!

Also entwickelte es sich bei dir rasant vom Schlagzeug hin zu Drummachines und Synths?

Ja, tatsächlich! Da sich meine erste musikalische Liebe relativ zielstrebig in Richtung Hardcore-Techno und Hardstyle entwickelte, kaufte mir mein Vater zum Start eine Production-Station!

Wann wurde dir klar, dass Musikproduktion genau dein Ding ist? Gab es Idole, die dich auf diesem Weg beeinflusst haben?

Irgendwie war das alles bereits von Anfang an mein Ziel. Da meine Mutter in der Computertechnik-Branche arbeitete, machte sie sich bereits früh daran, nach den ersten damals verfügbaren und brauchbaren Sequenzer-Programmen Ausschau zu halten, mit denen ich erste Tracks arrangieren konnte. Meine frühen Idole waren dabei The Prodigy, Underworld, Justice, Daft Punk und viele andere Artists aus der damaligen Techno-Szene wie Robert Armani, Speedy J und Joey Beltram. Meine größte und nachhaltigste Inspiration zog ich allerdings aus den Tracks des dänischen Produzenten Trentemøller sowie dem französischen Künstler Emmanuel Top – das muss so um 2003 herum gewesen sein. Wenn ich recht drüber nachdenke, haben mich eine Menge Künstler tief beeinflusst. Doch beim Ideen sammeln und spielen mit anderen Konzepten bemerkte ich irgendwann, dass mir das so nicht mehr reichte. Es war einfach nichts dabei, was mich wirklich ausfüllte.

Also hast du dich entschlossen das ganze Vorhaben durch intensive Studien zu professionalisieren?

Genau! Mein Vater schickte mich 2003 zur ersten Akademie für Elektronische Musik in Rom. Ich bastelte zu diesem Zeitpunkt schon seit knapp einem Jahr mit Cubase SX 2 und dann später SX 3 herum, aber irgendwie merkte ich, dass es schon sehr mühsam war, sich diese ganzen Techniken selber zu erschließen. Ich begann auch am Konservatorium Musik zu studieren, denn ein echter Musiker zu werden war letztlich noch ein weitaus wichtigeres Ziel für mich. Über die Zeit lernte ich meine DAW-Softwareumgebung wirklich lieben, da sie mir erlaubte, alle meine kreativen Ideen umzusetzen und das bereits mit den wenigen VSTi-PlugIns die es zu dieser Zeit zunächst gab.

Wie gehst du gemeinhin bei der Produktion von Musik im Studio vor?

Das hängt wirklich komplett davon ab, was ich gerade zu tun habe. Wenn es um meine eigene Musik geht – also um Seismal D – schmeiße ich meistens erst mal meine ganzen Synthesizer an und fange an in Echtzeit aufzunehmen. Dabei weiß ich in der Regel zu Beginn eigentlich noch nie, wohin die Reise gehen wird, daher baue ich mir erst einmal ein paar tonale Umgebungen. Darauf folgt meist ein Hauptthema oder eine Hauptbassline zu der ich dann Drums und ein paar finale Zutaten ergänze. Ich liebe es wirklich, mich dabei vom Prozess oder einer computergenerierten Idee treiben zu lassen und alles der Zufälligkeit des Moments zu übergeben. Erst am Ende entsteht so allmählich ein vollständiges Bild. Bei Auftragsarbeiten geht es dann schon ein wenig deterministischer zu. Wenn ich aus Cubase heraus von null aus starte, beschreite ich meist einen hybriden Weg, irgendwo zwischen Chaos und Determinismus. Ich habe mir dafür auch ein paar Tools in Max/MSP selber programmiert, um bei Bedarf eine gewisse Extraportion an Zufälligkeit in meine Musik zu integrieren.

Du würdest also sagen, das Sichtreibenlassen durch die eigene Stimmung und den richtigen Moment ist ein wesentliches Element auf der Suche nach neuen Ufern?

Absolut, meiner Meinung nach sind unerwartete Begebenheiten ausgesprochen hilfreich dabei hinter die eigene Vision zu schauen – natürlich liegen die letztlichen Entscheidungen bei jedem selbst! Ich und meine Kreativität lieben es zudem vom Verhalten analoger Synthesizer überrascht zu werden und das speziell im modularen Bereich. Was immer man auch tut, das Wichtigste ist: immer zuerst den Aufnahmeknopf drücken!

Was bedeuten dir Kooperationen wie die mit Frankyeffe in Bezug auf dich und die Entwicklung deiner persönlichen musikalischen Sprache?

Für mich sind Kooperationen eine großartige Möglichkeit musikalisch zu wachsen. Ich liebe es, mit anderen Produzenten und Künstlern zusammen zu arbeiten, denn über alle diese unterschiedlichen Empfindungen und Sichtweisen erreicht man schließlich komplett neue musikalische Horizonte. Die Zusammenarbeit mit Franky gestaltet sich wirklich einfach, da wir einen ähnlichen Erfahrungshorizont besitzen und ein sehr feines Gespür für den jeweilig anderen kultiviert haben. Wir sind beide davon überzeugt, dass ab und an einfach zwei Köpfe besser sind als einer – das trifft natürlich nicht immer zu.

Wie lange kennt ihr euch schon?

Da wir exakt aus der gleichen Ecke in Rom kommen, kennen wir uns eigentlich bereits seit wir anfingen Musik zu produzieren, ich denke das muss so um 2006 herum gewesen sein. Allerdings kam es zwischen uns erst 2016 zu einer ersten richtigen Kooperation.

JAusgehend von ein paar deiner Tracks (ebenso in Kombination mit Frank) scheint deine Musik einen sehr deepen und vielseitigen House-Einfluss zu besitzen. Wie würdest du deinen eigenen Stil beziehungsweise dein klangliches Ideal beschreiben?

Oh danke dir! Im Moment versuche ich für mich einen perfekten Platz auf halber Strecke zwischen Progressive Techno und Melodischem Deep House zu etablieren. Ehrlich gesagt gibt es da eine wahre Fülle interner Nuancen, aber meine globale Matrix ist dabei immer Techno angereichert mit deepen, progressiven, melodischen und auch ätherischen Facetten. In diesem Zusammenhang sollte ich glaube ich erwähnen, dass eines meiner aktuellen Idole Stephan Bodzin ist.

Mein Eindruck von deinen Tracks war außerdem, dass du wirklich gut darin bist aktiv Stereotypen zu vermeiden, indem du ein sehr persönliches und einzigartiges Sounddesign etablierst. Experimentierst du viel mit all diesen unterschiedlichen Sound-Varianten?

Wow, das macht mich jetzt wirklich richtig glücklich und stolz, Markus! Danke dir! Im Großen und Ganzen geht es mir sehr viel um die individuelle Schönheit eines Sounds und die Tatsache, dass es da so endlos viele mögliche Varianten gibt. Am Ende sollte aber idealerweise alles zur eigenen Identität zusammenfinden. Ich liebe es Klangmaterial unterschiedlicher Synthesizer, akustischer Klänge oder Instrumente zu sampeln, um sie dann in der nächsten Stufe elektronisch zu bearbeiten. Diese Herangehensweise spornt mich immer wieder aufs Neue an, möglichst unterschiedliches Ausgangsmaterial zu verwenden, mit kleinen Ausnahmen wie etwa meinen Moog Synthesizern. Generell betrachte ich Sounds gerne als Objekte, die man nicht nur bearbeiten kann, sondern definitiv auch sollte. Dafür braucht es natürlich die richtigen Werkzeuge, wie etwa die internen Instrumente und Prozessor-Einheiten aus Cubase.

Hast du für die Klanggestaltung ein Lieblingswerkzeug?

Mein Favorit ist da weiterhin HALion 6, da mir dieses Tool kombiniert mit einigen anderen enthaltenen PlugIns eine großartige Entwicklungsumgebung für Manipulationen, Edits sowie außergewöhnliche Kreationen und Effekte bietet. Tatsächlich gibt es da für mich einige fantastische Werkzeuge wie Padshop Pro, Quadrafuzz und der Multiband Envelope Shaper auf die ich nie wieder verzichten möchte. Auf der anderen Seite gibt es da ja dann auch noch meine bereits erwähnten, eigens in Max/MSP gescripteten Geheimwaffen, denn die sind wirklich hoch individuell.

Laut aktuellen Informationen bist du seit kurzem auch beim Label mau5trap aktiv? Wie bist du mit Deadmau5 zusammengekommen?

Der erste Kontakt mit Deadmau5 war eigentlich reiner Zufall. Er spielte während seiner BBC-Residency einen unserer Tracks namens „Fading Out feat. Njira“. Im Anschluss wurden wir dann vom Label kontaktiert und darum gebeten, einen weiteren Track einzureichen, was zu sehr positiven Resonanzen auf beiden Seiten führte. Mau5trap ist wirklich ein tolles Unternehmen und ich freue mich riesig, mit diesen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen. Von der nächsten Veröffentlichung an, gehen Franky und ich im Übrigen konzeptionell wieder eigene Wege, was bedeutet, dass meine nächste EP ein echtes Solo-Projekt werden wird. Darüber hinaus bin ich aktuell auch schon in jeder Menge Projekten für 2019 involviert, was allem Anschein nach ein wirklich großartiges Jahr für mich zu werden scheint.

Das klingt großartig! Kannst du uns einen kleinen Hinweis geben, was wir erwarten dürfen?

Das ist alles noch streng geheim, aber soviel kann ich verraten: es wird ziemlich orchestral…